Ich führte die Diskussion zuletzt mit einem aus Brasilien stammenden Mitbewohner, der den „Es gibt keinen Gott“-Sticker der Atheismuskampagne auf meiner Tür entdeckt hatte. Es war nicht ganz leicht ihm zu erklären, dass die Aussage eben keine Beleidigung für Christen oder andere Konfessionelle darstellt. Immerhin spornte mich das an, mein Selbstverständnis als Atheist wieder aufzufrischen. Und das lässt sich nach außen immer noch gut umschreiben mit „Glaubt doch, was ihr wollt“. Freilich nicht bedingungslos.
Grundsätzlich ist mir ja wurscht, ob jemand an Gott, Allah, Jehova, Meister Yoda, das fliegende Spaghettimonster oder sonst was glaubt. Bitte. Solange niemand das fundamentalistisch betreibt, versucht mich zu missionieren oder sein Weltbild der ganzen Gesellschaft aufs Auge drücken möchte. Erstere sind eh ein allgemein bekanntes Problem, drittere auch, wenn man ihnen auf die Schliche kommt. Viel gravierender ist aber der Missionierungsmissstand, der kaum wahrgenommen wird. Selbst ich habe dafür einige Jährchen gebraucht. Aber der Reihe nach:
Geboren wurde ich zwar in Wien, aufgewachsen bin ich aber am Land, im südlichen Oberösterreich. Im katholischen Kindergarten sang ich gemeinsam mit den anderen Kindern Kirchenlieder. In der Volksschule auch, denn ich ging in den Religionsunterricht. Wie die meisten meiner KlassenkameradInnen malte ich einen Mann mit Rauschebart auf einer Wolke, als wir unsere Vorstellung von Gott zu Papier bringen sollten. Soweit erschien mir das normal.
Was ich aber schon als Sechsjähriger als unangenehm empfand war die Beichte, zu der uns unsere Religionslehrerin alle paar Monate in die nahe gelegene Kirche schleppte. Jetzt ist es sicher nachvollziehbar, dass ein kleines Kind nicht gern Beichte ablegt. Auch für den einen oder anderen Erwachsenen ist das unangenehm. Ich fragte mich jedoch nach dem „Warum?“.
Als die Katze baden ging
Durch die Gitterwand des Beichtstuhls schilderte ich, dass ich unsere Katze in den Teich geschmissen hatte (Anm.: Sie kam da glücklicherweise von selbst wieder raus). Als Buße sollte ich meiner Mutter im Haushalt zur Hand zu gehen.
Ob ich das je erfüllt habe, weiß ich nicht. Die Katze hatte herzlich wenig davon und verzieh mir das Attentat letztlich. Wieso musste ich überhaupt einem fremden Mann meine Missetaten berichten? Ich kam mit meiner Schuld damals schon recht gut klar, für einen Tafelklassler.
Zum christlichen Einfluss meiner Bildungsanstalt gesellten sich dann noch Verwandte und Bekannte, die mich in die Kirche mitschleppten. Was damals genauso langweilig war, wie es heute ist. Auch das Konzept der Huldigung in Gotteshäusern irritierte mich früh. Dank meines Sturkopfs hatte ich das Tischgebet bald abgesetzt. Und glücklicherweise hielten meine Eltern nie was vom Kirchgehzwang und nehmen ihre Religion nur mäßig ernst. Meine Erstkommunion geschah noch freiwillig, meine Firmung aus sozialem Druck heraus.
Und so fiel ich schleichend von einem Glauben ab, in den ich hineingeboren wurde. Aus dem unmotivierten Christen wurde in der frühen Jugend ein Agnostiker, der später „o. r. B.“ in seinen Zeugnissen stehen hatte und dem Religionsunterricht fern blieb.
Atheistischer Rückblick
Schließlich wurde ich Atheist, aus dem Bewusstsein heraus, das es kein Zeichen von Respektlosigkeit gegenüber Gläubigen ist, für sich die Existenz eines Gottes auszuschließen. Wie gesagt: Glaubt doch, was ihr wollt
Dies ermöglichte mir schließlich eine alternative Sichtweise. Nachträglich betrachtet finde ich die Bußgänge in der Volksschule nicht mehr einfach nur unangenehm, sondern halte sie für Gehirnwäsche. Als solche sind sie Teil des Kernproblems. Missionierung ist kein „Mittelalterphänomen“.
Sie existiert heute noch, nicht nur in Entwicklungsländern. Bei uns ist sie seit langem in gesellschaftliche Abläufe integriert und wird als solche „Tradition“ nicht mehr hinterfragt.
Kaum ein Kind hat eine halbwegs neutrale Wahlmöglichkeit seiner Konfession und wächst mit Informationen über verschiedene Religionen und Religionslosigkeit auf. Ich wurde im Namen eines Glaubens getauft, ohne danach je gefragt zu werden. Weil Säuglinge schwer um Antwort bitten kann, hätte man auch warten können. Eine Religion, die sich für die einzig wahre Erlösung hält, müsste das ja aus- und ihrer Hinterfragung standhalten.
Schäfchen wachsen nicht auf Bäumen
Tradition und Religion werden oftmals gleichgesetzt. Das sture Festhalten an der „christlichen Prägung“ Europas unter Ausblendung aller negativen Aspekte verhindert eine objektive Betrachtung der Situation. Und mit dieser Objektivität, die ich mir als toleranter Atheist zutraue, komme ich zu dem Schluß, dass Religion heutzutage genauso vererbt wird wie im Mittelalter.
Der wesentlichste Unterschied besteht darin, dass es von Staats wegen Religionsfreiheit statt Religionszwang gibt.
Man sollte Religionsfreiheit endlich im Wortsinn umsetzen und Kindern die Chance geben, sich selbst für oder gegen Religiosität zu entscheiden. Vielleicht würde das auch die Institutionen der Weltkirchen zu Reformen antreiben, wenn ihre Schäfchen nicht mehr „nachwachsen“ wie Äpfel an Bäumen. Vielleicht würde Papst Benedikt nicht mehr alles, was dem erzkatholischen Lebensverständnis widerspricht als „Trend“ bezeichnen.
Dies ist kein Plädoyer für Atheismus, sondern für Wahlfreiheit.