Mir gefällt Google+ am ersten Blick. Es ist aufgeräumt, lässt sich enorm flüssig bedienen, kommt (eh nur vorerst) ohne Kinderkram wie langweilige Flashgames aus und noch nervt mich auch niemand mit 200 Veranstaltungseinladungen am Tag. Ob Google damit der große Clou gelingt, um Facebook abzulösen? Möglich. Würde es den Social Network-Giganten aber nur zu einer gewissen Öffnung und einigen Verbesserungen zwingen, wäre das auch ein schöner Effekt. Aus einem speziellen Grund würde ich mir sogar wünschen, dass Google+ nicht der neue Platzhirsch wird.

Ich habe meine Daten in den vergangenen Jahren bewusst nicht nur einem Service zur Verfügung gestellt und auch darauf geachtet, dass ich meine Programme diversifiziere. Facebook war das eher private Netzwerk, Twitter das lässige für Informationen. Google kam mir mit seinem Betriebssystem aufs Handy, war die bevorzugte Suchmaschine und hatte zudem Youtube. Microsofts Windows bleibt auf dem PC Herrscher, Apple darf Musik und Podcasts verwalten, meine E-Mails rufe ich mit Thunderbird oder auf Yahoo ab und gebrowst wird mit Firefox. Meine Dokumente blieben lokal, allenfalls in einer Dropbox und werden mit OpenOffice erzeugt und auf Prezi präsentiert. Meine Blogs betreibe ich auf einem privaten Server mit WordPress, mit Freunden chatte ich über Skype, meine Fotos bekam Flickr. Das alles geschah aus dem simplen Grund, dass ich so wenig wie möglich in die Hände eines einzelnen Anbieters legen möchte.

Nun schickt sich Google aber an, die bequemste und scheinbar kostenlose Lösung für all diese Aufgaben zu haben. Google+ könnte ein mächtiges Bindeglied werden. Diese neue schwarze Leiste am oberen Rand meines Browsers wird allgegenwärtig und verbindet die eh schon googlifizierte Suche, das Handy und irgendwann sicher auch das Videoschauen mit allem anderen. Plötzlich meldet sich der Google Chat elegant auf meinem Handy und könnte mit Hangouts zusammen Skype ablösen (das ja auch schon Microsoft gehört). Picasa ist ohnehin schon sehr attraktiv im Vergleich zum behäbigen Flickr, wird aber spätestens mit G+ die sinnvolle Variante für Bilder. Gemeinsame Dokumente bearbeitet man in Google Docs und speichert und teilt sie auch gleich dort. Android wird mich naturgemäß irgendwann auch auf Tablets reizen. Auf Chrome und Gmail wechselte ich schon bisher nur wegen der Bedenken gegen die Anbieterkonzentration nicht.

Nichts von dem wird mir aufgezwungen, doch es könnte sich bei einem Erfolg von G+ ganz einfach zum reizvollen Standard entwickeln.

Google vertraue ich in einem außergewöhnlich hohen Maß, verglichen mit anderen Unternehmen. Ich denke ein Niedergang Googles wäre im Moment nur durch einen von Unternehmen selbstverschuldeten Vertrauensverlust möglich, weshalb Vertrauenswürdigkeit das Geschäftsmodell des Konzerns sein muss.

Doch das muss nicht immer so bleiben und das Vermeiden einer noch größeren Anbieterkonzentration (und damit des Wissen in Bezug auf unser Onlineverhalten und unsere Daten in Händen einzelner Privatunternehmen) ist der Grund, warum mir ein Bestehen von Facebook lieber wäre, als ein Siegeszug von Google – obwohl mir die blaue Firmenpolitik weniger sympathisch ist und Plus vermutlich der bessere Dienst werden dürfte.

Dieses Problem müsste jeder für sich abwägen, bevor er sich für ein Angebot entscheidet. Realistisch betrachtet wird das keine entscheidende Rolle in der Schlacht um unsere Netzwerke spielen.

Noch eine Anmerkung zur Verwendung von Google+

Ich glaube, die Leute denken über diese „Circles“ zu viel nach. Ich bin bei Facebook immer ohne Listen ausgekommen und habe auch bei Twitter nur zwei Spalten gleichzeitig (eine dritte bei aktuellen Ereignissen fürs Hashtag) laufen. Es wird auch in Google+ genügen, einen Kreis vertrauter Menschen zu haben (fürs aktive Beschränken privater Information), einen für die interessanten Leute denen man folgen möchte (für den passiven Bezug) und den Rest öffentlich zu publizieren (eher wie Twitter). Mir gelingt es gedanklich überhaupt nicht, Menschen in so viele verschiedene Kategorien von Vertrauen zu teilen, dass eine detailliertere Trennung im permanenten Gebrauch Sinn ergibt – auch weil ich ohnehin nichts ultimativ Intimes auf eine schlecht abgegrenzte Online-Plattform wie FB oder G+ stelle. Diese sind zum Teilen entworfen worden. Wer Dinge geheimhalten möchte, ist hier fehl am Platze.

Ich behaupte: Für alles andere als eine so rudimentäre Kreis des Vertrauens/Kreis der Öffentlichkeit-Einteilung ist das Circle-System, wie es jetzt ist, auch technisch ungeeignet. Beim Publizieren im Mikromanagement-Wahn von dutzenden oder hunderten Kontakten wird man irgendwann ein Schwammerl. Niemand kann eine solche Plattform noch mit Lust und Sinn nutzen, wenn vor jedem Post zuerst komplex nachgedacht werden muss, wer nun wo drin ist, was sieht, sehen darf und soll oder besser nicht sehen dürfte. Besonders, wenn man bedenkt, dass nichts auch zuverlässig im kleinen Kreis bleiben muss.

Und beim Bezug von Information haut thematisches Mikromanagement ohne Twitter-ähnliche Hashtags nicht hin, denn nur uninteressante Menschen sind so monothematisch, dass man sie in einen thematischen Kreis packen könnte. Jeder Tech-Geek wird sich ansonsten auch oft für viele andere Dinge interessieren und damit den Kreis sprengen. Soll heißen: Wenn Google nicht die Tools zur Verfügung stellt, um als (besseres) Twitter zu funktionieren, dann muss man es auch nicht zwangsweise zu einem solchen machen wollen.

Trotz dieser Bedenken bin ich, wie die meisten zurPolitik.com-AutorInnen, bereits auf Google+ zu finden. Wer mir folgen möchte, findet mich hier. Alternativ natürlich auch auf Twitter und Facebook.

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