Nachdem die FPÖ im Innsbrucker Wahlkampf einmal mehr mit einem ebenso fremdenfeindlichen wie die Semantik der deutschen Sprache verachtenden Plakat („Heimatliebe statt Marrokaner-Diebe“) aufgefallen ist, will die ÖVP dort weiterhin keine Koalition mit den Blauen ausschließen. So weit, so normal. Disktuabel fand ich allerdings die Begründung von Spitzenkandidat Christoph Platzgummer. „Man könne schließlich „nicht einen ganzen Teil der Bevölkerung“ von vornherein ausklammern“, berichtet die Tiroler Tageszeitung über seine Stellungnahme.
Wann ist es eigentlich passiert, dass der haarsträubend unsinnige Ausgrenzungs-Schmäh der FPÖ schon vom politischen Gegner selbst geglaubt wird? Seit Jahren beschwert sich die FPÖ darüber, dass sie von anderen Parteien nicht als Koalitionspartner akzeptiert wird (während sie natürlich in mehreren Koalitionen saß) und nennt das „Ausgrenzung“. Nur: Das ist es nicht wirklich, obwohl man es sich vielleicht sogar wünschen sollte. In Wahrheit grenzen nicht die anderen Parteien die FPÖ aus, sondern die sich selbst. Und zwar ganz bewusst und strategisch berechnend.
Der Sinn von Verhandlungen ist ein Ergebnis
Die Strategie ist simpel: Zuerst nimmt man eine Position ein, die für alle anderen reiner Wahnsinn ist und mit der die sich keinesfalls arrangieren können. Wenn dann mit dieser Position logischerweise niemand eine Regierung bilden will, dann wird über „die Ausgrenzung ganzer Bevölkerungsteile“ gejammert. Dadurch, dass sie Politik so als reines Zahlenspiel darstellen (Und nur ums Darstellen geht es. Die FPÖ will in Wahrheit ja genausowenig mit der Position der anderen arbeiten.), bei dem Werte keine Rolle spielen, pachten die Blauen das Rebellenimage als „einzige Alternative“ für sich. Sie seien die einzigen, die „ausgegrenzt“ werden, behaupten sie. Natürlich wird mit der FPÖ im Parlament aber gesprochen (und das ist auch gut so). Dass sie oft als einzige nicht zu Koalitionsverhandlungen geladen werden, liegt daran, dass sie sich oft als einzige so radikal positionieren, dass Verhandlungen gleich gar nicht sinnvoll erscheinen.
Tatsächlich kommen aber meistens weniger Parteien in eine Regierung als auf die Oppositionsbank. Das ist normaler Parlamentarismus in Österreich. (Im Innsbrucker Gemeinderat sind übrigens die Grünen die zweitstärkste Partei und nicht in der Stadtregierung. Eine ÖVP-nahe Bürgliste, die ÖVP und die SPÖ haben sich nämlich auf eine geeinigt. Die FPÖ war bei der letzten Wahl nur Sechster.)
Politik ist nicht Mathematik
Eine Koalition (von lateinisch coalitio: „Zusammenschluss“) ist nunmal nicht das bloße Zusammenzählen zweier Prozentzahlen. Sie erfordert ein inhaltliches Zusammenpassen und eine potentielle Kompromissfindung zumindest in Kernbereichen. Zwei Parteien sind immer unterschiedlich und eine Koalition erfordert immer Kompromisse. Das ist nicht grundsätzlich schlecht, aber es ist auch nicht grundsätzlich gut. Sind die Pole der Parteien zu weit auseinander, ist das ein richtiges Problem für beide. Die Arbeit solcher Regierungen wird jahrelang als „Stillstand“ wahrgenommen, weil Politik auf Basis des kleinsten gemeinsamen Nenners nicht spektakulär, visionär und richtungsweisend ist, sondern langsam, angreifbar und unbefriedigend. Wir kennen das aus vielen „Großen Koalitionen“.
Zu glauben, dass das immer funktionieren kann heißt in letzter Konsequenz, dass man einen basisdemokratischen Menschenrechtsaktivisten und einen totalitären Faschisten in eine Regierung zusammensperrt, am Ende eine sinnvolle Lösung in der „Mitte“ gefunden wird. Dahinter steckt einerseits die Annahme, dass es eine Mitte gibt (faktisch kann die aber niemand definieren, weil sie zufällig entsteht). Andererseits auch der Irrglaube, dass jede politische Position gleich weit von der „richtigen“ Lösung entfernt ist. („Richtig“ nicht im Sinne der einzigen Wahrheit, sonder in dem der größtmöglichen gesellschaftlichen Akzeptanz“ – des demokratischen Mainstreams)
Weil Politik aber eben doch auf Werten, Visionen, Wünschen und Utopien basiert (ja, auch die, die sich unideologisch nennt), können nicht alle Parteien miteinander koalieren. Wer würde etwa im Fall der Fälle eine KPÖ-FPÖ-Regierung für sinnvoll halten, wenn die beiden einmal die meisten Stimmen erhalten würden? Es gäbe zwischen den Programmen der beiden Parteien einfach zu wenig Übereinstimmung, um sinnvoll miteinander arbeiten zu können. Für die Grünen, die SPÖ und zumindest Teile der ÖVP gilt dasselbe im Bezug auf die FPÖ. Sie können inhaltlich einfach nicht mit ihr. Das ist keine Ausgrenzung, sondern demokratische Logik.
Diskussion in einer Blase
Wenn der politische Gegner zu blöd ist, dem Ausgrenzungs-Schmäh genau dieses prinzipielle Argument entgegenzuhalten (Nach dem Motto: Wir koalieren vielleicht mit Ihnen, wenn sie Position XY aufgeben, ansonsten grenzen nämlich Sie uns aus.), dann betoniert er die taktische Beschwerde der FPÖ auch noch als Fakt ein. Er versucht in der gefälschten Gedankenwelt mit ihrer fehlerhaften Logik ein Argument zu gewinnen, statt die Logik zu berichtigen. Er diskutiert in einer Blase, obwohl das Argument mit dem er rechthat, außerhalb davon liegt.
Was wir dann immer öfter erleben, ist das Gegenteil eines klugen Arguments: Mittlerweile muss die FPÖ sich nicht einmal mehr beschweren. Der leichtgewichtige politische Gegner hält es mittlerweile schon selbst für Ausgrenzung, würde er zu seinen Werten stehen. Platzgummer (oder Ursula Stenzel) sagt mit seinem Statement genau das: Würde man sagen, dass mit der FPÖ wegen ihrer radikalen Minderheitenpositionen (und dabei geht es ja nicht nur, um ein deppertes Plakat, sondern um viele Programmelemente) kein gemeinsames Fundament zu bauen ist, dann würde man den Wählerwillen ignorieren.
Die FPÖ ist nicht der sogenannte Wählerwille
Selbstverständlich ignoriert dieses Argument nicht nur, dass Politik auf Werten basiert (und übernimmt damit den FPÖ-PR-Spin). Es missachtet auch den simplen Fakt, dass „die WählerInnen“ die FPÖ gar nicht in der Regierung wollen. Zwar hat sie relativ gute Wahlergebnisse, aber in Wahlen wird ja nur zugestimmt. Die FPÖ ist zeitgleich aber auch jene Partei, die so stark wie keine andere Partei (außer das abgespaltene BZÖ) abgelehnt wird (und das schon immer oder sehr lange). Sie hat zwar recht viele Unterstützer, aber eben noch mehr grundsätzliche Gegner. Etwa drei Viertel der Menschen wählen Parteien, die in einigen Kernfragen komplett andere Vorstellungen haben.
Zumindest hoffe ich noch immer, dass etwa die im Innsbrucker Plakat transportierte Hetze gegen Ausländer nicht mit den Werten der ÖVP zusammenpasst. Obwohl sie es ja in dern vergangenen Jahren bereits oft genug schaffte, ihre angeblichen christlichsozialen Grundsätze zu vergessen. Für mich ist das ja einer der wesentlichen Gründe, warum die ÖVP es innerhalb eines Jahrzehnts von über 40 auf knapp 20 Prozent Zustimmungsraten geschafft hat. Sich von keiner Position ausgegrenzt zu fühlen kann nur, wer selbst keine hat.