Auf Kobuk läuft gerade eine interessante Debatte zum Begriff „Ostarbeiter“, der zuletzt von manchen politischen Parteien und einigen Medien verwendet wurde. Yilmaz Gülüm erklärt im Beitrag, dass dieses Wort direkt aus dem Jargon Hitler-Deutschlands stammt. Das hätte ich ehrlich gesagt gar nicht mehr gewusst.
Im Prinzip fände ich es auch gar nicht so wichtig, Worte ausschließlich deshalb nicht mehr zu verwenden, weil sie auch von Nazis verwendet wurden. Es geht bei der Sprache immer vor allem um aktuelles Verständnis und Intention. Wenn jemand „Ostarbeiter“ bewusst als Nazijargon verwendet, ist das schlimm. Wenn er es aber unbewusst als scheinbar „normales“ Wort verwendet? Dann ist das in diesem Fall auch schlimm.
Warum?
Fassen wir mal die historische Auffassung des „Ostens“ über die letzten Jahrzehnte zusammen: Dort lebten für die Nazis Sklaven-artige Untermenschen. Im Kalten Krieg lauerte die kommunistische Bedrohung. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs regierte die Armut und weiter die Korruption. Und seit der EU-Osterweiterung werden die Menschen dort werden als Arme begriffen, die geil drauf sind jeden Moment ihre Heimat, Familie und Freunde zu verlassen, um uns unsere schöne Arbeit wegzunehmen.
Habt ihr eigentlich schon einmal etwas von den Westarbeitern gelesen? Oder den Nordarbeitern? Oder den Südarbeitern? Wenn man sich vor Augen führt, was der Begriff aussagen soll, kommt man drauf: Darin steckt eine ganze Reihe von Ressentiments gegen Menschen aus dem Osten – dazu braucht es die Nazis gar nicht. Da geht es ja nicht etwa darum, dass vorrangig „Ostarbeiterinnen“ unser unterentwickeltes Pflegesystem retten, Österreich natürlich schon lange keine Probleme damit hat, in osteuropäischen Ländern großes Geld zu verdienen und es hierher zu schaffen, andere OsteuropäerInnen hier mit ihrer Tätigkeit sogar Arbeitsplätze schaffen und wiederum andere Jobs machen, die anscheinend sonst niemand machen will. Hier wird stattdessen nur eine Bedrohung und anonyme Flut herbei geschrieben. Die „Ostarbeiter“ klauen angeblich bald „unsere“ Jobs.
Wonach niemand mehr fragen wird, wenn es widerlegt ist
In Wahrheit geht es dabei nur um politisches Kleingeld. Diese Warnungen treffen nie ein. Vor der Grenzöffnungen gen Osten vor einigen Jahren wurde praktisch von denselben Parteien und Medien geschrien, jetzt käme die große Kriminalitätsflut der damals sogenannten „Ostbanden“. Damals profitierten die Rechten von dieser im Boulevard angeheizten Stimmung. In der Wirklichkeit ging die Kriminalität seitdem (2004) deutlich zurück. (In den selig-abgeschotteten 1980er-Jahren wurden hierzulande sogar mehr als doppelt so viele Menschen eines Verbrechens schuldig befunden als heute.) Und die „Ostbanden“ sind so selten, dass es so ziemlich jede einzelne von ihnen auf die Titelseite der Krone schafft.
Das verändert den Profit der Rechten von damals nicht (und der Boulevard muss das Geld für die schlechten Informationen an seine damals verängstigten LeserInnen nicht zurückgeben). Danach, wie falsch das damals war, fragt heute niemand mehr. Bevor das passiert, werden halt schnell die nächsten hysterischen Fantasien erfunden. Eben solche wie die angebliche „Ostarbeiter“-Flut. Und wieder regieren der Boulevard und seine rechten Brüder und Schwestern die Debatte mit der Angst (was eine sachlich-konstruktive Beschäftigung mit echten Herausforderungen oder Problemen nicht möglich macht).
Menschenfeindlichkeit ohne Nazis wäre auch nicht besser
All diese medial-politischen Fake-Erfahrungen schwingen im Wort „Ostarbeiter“ mit. Das alles soll heißen: Hätte es die Nazis nicht gegeben, wäre der heutige Begriff „Ostarbeiter“ auch nicht viel neutraler. Die typischen „Kleinformat-LeserInnen“ wissen von dieser Nazi-Vergangenheit gar nichts, und er vermittelt ihnen trotzdem offensichtlich etwas negatives. Und mit „etwas“ sind Menschen gemeint.
Dass hier möglicherweise nicht aus böser Absicht ein Nazibegriff verwendet wird, sondern dass das ganz unschuldig von selbst geschieht – weil es sich im menschenfeindlichen Denkmuster der Angstverbreiter so ausgeht, dass sie von selbst auf dieselben Wörter kommen – ist vielleicht noch schlimmer als die Alternative.
Wenn man in solchen Debatten zu sehr auf die „Nazikeule“ vertraut, gerät man in Gefahr, zu viel Energie auf den Horror der Vergangenheit zu verschwenden und dem Dreck von heute zu wenig Widerspruch zu geben. In dieser Hinsicht hat Kobuk-Autor Hans Kirchmeyr recht, dass dies erschwert, „die Leser mit ins Boot zu holen“. Unwidersprochen muss man es trotzdem nicht lassen.
Fotocredit: mkorsakov, CC2.0 BY-NC-SA