Die OTS-Runterred-Sendung „Im Zentrum“ tue ich mir nicht oft an. Ein Tweet von Andreas hat mich gestern aber doch neugierig gemacht. Das Thema diesmal: „Reiche schröpfen – Der neue Klassenkampf?“. Mit dabei unter anderem Günter Stummvoll, was ein einstündiges Kopfschütteln meinerseits zur Folge hatte. Der 67-jährige Finanzsprecher der ÖVP verteidigte die Reichen, gab eine intellektuelle Bankrotterklärung ab und repäsentatierte seine Partei damit sehr gut.

Drei Punkte zum Aufregen:

1. Finanz-Staatssekretär Andreas Schieder erklärte in der Sendung das Vorhaben der SPÖ, Vermögen von über einer Million Euro mit einem Prozent zu besteuern. Das ist ein Teil eines Sieben Punkte-Programms der Sozialdemokraten zur Budgetkonsolidierung bei der Einnahmenseite. Stummvoll wusste gegen diese Maßnahme anscheinend kein richtiges Argument. Das bedeutet natürlich nicht, dass er sie akzeptierte oder unterstützte. Um die Idee zu diskreditieren behauptete er einfach, diese Steuer würde später sicher heruntergesetzt.

Dahinter steckt eine leicht durchschaubare Strategie (die man vor wenigen Tagen auch beim Sommergespräch von Josef Pröll beobachten konnte). Wann auch immer eine Maßnahme zur Reichenbesteuerung nicht mehr kaputtzureden ist, kommt aus der ÖVP ein Schreckensgespenst für den Mittelstand.

Bei den momentanen gesellschaftlichen Zuständen können die Reichen keine demokratische Mehrheit bei Entscheidungen stellen. Deshalb versuchen ihre Lobbyisten jede drohende Abgabe auch als Untergang des Mittelstandes darzustellen. Zusammen mit dem geht sich dann auch schon fast eine Mehrheit aus. Dazu kommt, dass sich die meisten Menschen erfahrungsgemäß als Mittelstand sehen, selbst wenn sie in Wahrheit nicht dazu gehören. Und nebenbei glaubt heute zwar kein ärmerer Mensch noch eines Tages reich zu sein, zur Mittelschicht zu gehören gilt aber noch als vorstellbar.

Die Armen haben also kein Interesse daran, den Mittelstand zu schröpfen. Der Mittelstand hat kein Interesse, geschröpft zu werden. Und für die Reichen dient der Mittelstand als guter Dodel, der sich als Schutzschild missbrauchen lässt. Will man also Umverteilung diskreditieren, bezeichnet man die entsprechende Maßnahme einfach als Gefahr für den Mittelstand. (Die Strategie hat den negativen Nebeneffekt, dass es unmöglich wird, den tatsächlichen Mittelstand rethorisch zu schützen. Aber der kümmert die Reichenlobby ja nicht wirklich.)

Die SPÖ hat mit ihrem Vorschlag der 1 Million Euro-Grenze den Mittelstand gut ausgegrenzt, es gibt laut Sendung in Österreich nur rund 40.000 Dollar(!)-Millionäre. Stummvoll stellte deshalb die Sorge in den Raum, dass das später – man wisse das als gelernter Österreicher – den Mittelstand betreffen werde. Statt also jetzt zuzustimmen und später gegen eine Freibetragssenkung zu sein, ist die ÖVP also einfach gleich dagegen. Ein Schelm, wer dabei denkt, dass das Argument nicht wirklich ehrlich ist.

Schon Stimmvolls Diktion war vielsagend. In der Sprache der Reichenlobbyisten und eben auch der ÖVP gibt es überhaupt keine „Reichen“, die man überhaupt besteuern könnte. Sogar als Stummvoll einmal den Schwenk zum Mittelstand vergaß und selbst über die Reichen und Armen sprach, verwendete er wirre Wordings wie „die sogenannten Reichen“ und „Nicht-Reichen“.

„Sogenannt“ – dieses Wort entlarvt die ÖVP-Gedankenwelt. Die reichsten 10 Prozent der erwachsenen Österreicher (Seite 248 des PDFs) besitzen 35% des Geldvermögens, 71% des Immobilienvermögens und 100% der Unternehmensvermögens. In Zahlen ausgedrückt besitzen diese 600.000 Menschen zusammen Vermögen im Wert von 644 Milliarden Euro.

Liebe ÖVP, ein Vorschlag zur Güte. Wie wärs, wenn wir zumindest diese Menschen als „Reiche“ bezeichnen und uns das „sogenannte“ sparen?

Kleiner Verhältnischeck: Um beim aktuellen Wechselkurs ein Dollar-Millionär zu sein (also mindestens 768.000 Euro zu besitzen), muss ein Arbeiter aus der Einkommens-Mittelschicht in Österreich etwa 35 Jahre arbeiten – und darf in dieser Zeit nichts von seinem Geld ausgeben. (Das mittlere (nicht durchschnittliche) unselbstständige Arbeitseinkommen in Österreich lag 2008 bei 1900 Euro (brutto, 12 Mal im Jahr)).

2. An einer anderen Stelle meinte Stummvoll, allein die Diskussion über Vermögenssteuern schade der Wirtschaft. Falls jemand wirklich nicht weiß, wieso mich das aufregt, bitte posten. Ich halte es für zu offensichtlich.

3. Karin Küblböck (Attac Österreich) wies im Verlauf der Debatte einige Male darauf hin, dass sich Österreichs Steuerlandschaft durch eine niedrige Besteuerung auszeichnet. Sie sprach aus dem Kontext klar erkennbar von Vermögensbesteuerung. Stummvoll wies diese Argumentation jedes Mal mit dem Zwischenruf zurück, Österreich habe doch die fünfthöchste Steuerquote (der OECD oder EU, weiß ich leider nicht mehr)!

Boah. Die Fünfthöchste? Was will diese Küblböck eigentlich?

Was Stummvoll leider nicht dazu sagte: Diese hohe Steuerquote kommt vor allem aus Steuern auf Konsum und Einkommen (betrifft also vorrangig den Mittelstand und die Armen) und hat so gut wie nichts mit Vermögensbesteuerung (welche die Reichen betreffen würde) zu tun. Da liegt Österreich nämlich im Schlussfeld der OECD-Staatenwelt. Wenn die ÖVP sich weigert, die Steuerlast von den Einkommen auf die Vermögen zu verlagern, betreibt sie entgegen ihrer eigenen Sprache eine waschechte Anti-Mittelstands-Politik.

Stummvoll ist ein ehemaliger Finanzstaatssekretär. Schwer vorstellbar, dass einem solchen Mann derartige Fehler aus Versehen passieren oder dass er bei „Im Zenrum“ etwas sagt, das nicht mit der sonstigen Parteispitze abgesprochen ist. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als diese Dinge als bewusste Irreführung zu deuten.

Fotocredits: European Citizen, CC20. BY-NC-SA

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