Es war schon deutlich nach Mitternacht. Ich bog im Schritttempo aus der Wallnerstraße ums Eck, als ein Mann mit vielsagendem Kapperl mir „Guten Abend“ wünschte. Ich blieb stehen. „Guten Tag“. Er wies mich darauf hin, dass mein Licht nicht ging und dies eine Fußgängerzone war. Ich gestehe: Das war mir vorher bewusst. Trotzdem schien mir meine Vorgangsweise nach allen Maßstäben menschlicher Vernunft rechtfertigbar. Demonstrativ blickte ich mich um, lenkte seine Aufmerksamkeit auf die leere Gasse und verwies auf die taghell beleuchtete Szenerie. „Da vorne“, deutete ich in Richtung des dunklen Michaelerplatzes, „steig ich eh wieder ab“.

Das wollte ich wirklich. Man muss dazu wissen: Ich fuhr nicht einfach durch die dafür vorgesehene Herrengasse, weil das Licht des Rades kaputt ist, das mir nicht gehört, das ich aber benutze. Das ist meine eigene Schuld und theoretisch blöd, weil ich immer bis Mitternacht arbeite. Doch fahre ich mit dem Rad normalerweise zwar am Nachmittag zur Arbeit, schiebe es aber am Heimweg die 40 Minuten. Das klingt in skeptischen Ohren vielleicht unrealistisch, aber diese Praxis ist – mit einem guten Podcast ins Ohr gestoppelt – eine willkommene Entschleunigung nach dem Stress des Tagwerks.

Manchmal – so ist das, glaube ich, bei vielen Menschen – bin ich nach diesem aber sehr müde, und dann versuche ich doch etwas schneller nach Hause zu kommen. Statt mein Rad dann drei Minuten durch den meist verlassenen und ökologisch unsinnig hell beleuchteten Kohlmarkt zu schieben, rolle ich schon mal vorsichtig die zweihundert Meter in dreißig Sekunden. Jaja, soviel Wildsau steckt manchmal unter diesem unschuldigen Hut – so auch in dieser Nacht.

Der Mann mit dem Kapperl wollte nicht ungut sein. Immerhin hätte ich in dieser leeren, zwanzig Meter breiten Gasse mit meinem Tempo auch beim schlechtesten Willen niemanden gefährden können. Deshalb wollte er nur 21 Euro für das kaputte Licht. „Muss das sein?“, fragte ich den Polizisten etwas verlegen. „Ich habe gerade acht Stunden gearbeitet für dieses Geld“. Doch die Mitleidsschiene führte mich ins Nirgendwo und ließ mich dort stehen. Es musste sein, versicherte er mir, und dass er auch schon lange arbeitete.

Unser weiteres Gespräch verriet ihm, dass ich für den Online-Standard arbeite. Der Beamte wies mich darauf hin, dass er gerade vor einigen Minuten wohl einen Kollegen von mir weiter vorne erwischt hatte. Möglicherweise sollte mich das trösten. Hach! Ist die Welt nicht klein, im engeren Umkreis eines Ortes, an dem man regelmäßig viele Stunden verbringt?

Ich hatte mittlerweile das Geld zusammen gekratzt und gab es ihm. Das war meine erste Strafzahlung überhaupt und sie lehrte mich, dass es weh tut, erwischt zu werden. Jetzt wollte ich ihn an der Menschlichkeit packen! Während er mir einen Zettel ausfüllte, meinte ich noch einmal nach einem gedachten Strohhalm greifend: „Tagsüber versteh ich die Kontrollen hier ja eher, aber ich hätte gedacht, nachts wäre etwas mehr Kulanz möglich“. Er schien darauf vorbereitet. „Wissen Sie“, sagte der Mann mit der höchst offiziellen Kopfbedeckung, „mir ist das alles im Prinzip völlig egal“. Er meinte die Radfahrer in diesen menschenleeren, hell beleuchteten Gassen. Auch er war nicht so richtig davon überzeugt, dass diese speziellen Regeln Sinn ergaben. „Aber“, erzählt er, „gerade hier im ersten Bezirk bekommen wir so viel Druck von oben„.

In Wien werden nämlich im Moment – angeblich auf Druck von Innenministerin Mikl-Leitner – arme TouristInnen, die vor lauter Ablenkung einfach nicht darauf achten können, wohin sie gehen, vor gefährlichen Fahrradrowdies geschützt (Im Ernst, das ist die Begründung.). Ein sicherlich brennendes Problem.

Wenn er den zuständigen Stellen davon berichte, dass er zwar 15 Fahrradfahrer aufgehalten und abgemahnt habe, dann würde ihm angelastet, dass er keine Anzeigen getätigt habe, erzählte mir mein sommernächtlicher Gesprächspartner. Irgendwo in der Kette von oben nach unten, gibt wohl jemand die angekündigte „Milde“ der Vizebürgermeisterin nicht richtig weiter, sondern macht den Polizisten stattdessen Druck, mehr zu strafen. Welch Missverständnis! So ein Verwaltungsapparat kann ein fieses Stille Post-Spiel sein!

Irgendwas hatte sich an unserer Situation gedreht. „Ich mache hier auch nur meinen Job“, appellierte der Polizist nun an mein Mitleid. Ich sah die Richtigkeit seiner Aussage ein, machte ihm verbal „keinen Vorwurf“ und verabschiedete mich freundlich.

Von neuer Weisheit über besseres Verhalten erleuchtet, schob ich mein Fahrrad einige Meter weiter als geplant nach hause. Niemals wieder würde ich so ein rücksichtslos gemeingefährliches Verhalten an den Tag legen! Der Radfahrer, der mir am Ende des Kohlmarkts entgegen kam, musste mein Glück über dieser Erkenntnis gefühlt haben. Er stieg plötzlich wie von Zauberhand ab. „Danke“, sagte er. Das freute mich noch mehr. Ein zweiter Mensch fuhr also nicht diese leere Gasse hinab. Und dies war die Geschichte davon, wie eine politisch erdachte Schwerpunktaktion die Welt wieder viel besser gemacht hat.

Update: Die Polizei hat in den vergangenen zwei Monaten 180 Anzeigen und 150 Strafmandate gegen viele vermutlich ähnlich „rücksichtslose“ RadfahrerInnen in Wien ausgestellt. Es ist den Verantwortlichen nur zu gratulieren und absolut zu befürworten, dass weitere PolizistInnen dieser großen Gefahr für unsere Gesellschaft entgegentreten sollen. Es gäbe ja sonst nichts zu tun für die Ordnungshüter …

Fotocredit: Metro CentricCC2.0 BY

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